30 Jahre EU-Beitritt − eine Standortbestimmung
Österreich ist seit nunmehr 30
Jahren Mitglied der EU. Gerade
die Bauernschaft ist 1995 mit
einer gehörigen Skepsis in die
EU eingetreten.
Faktum ist, dass viele Befürchtungen
im Zuge des EUBeitritts
1995 bzw. der EUOst
erweiterung 2004 für die
Bauernschaft erfreulicherweise
nicht Realität wurden. Der
Heimmarkt im Lebensmittelbereich
konnte dank Einführung
des AMA-Gütesiegels und
Kampagnisierung der Regionalität
bis heute durchaus erfolgreich
verteidigt und gerade bei
Milch und Fleisch auch wichtige
Exportmärkte aufgebaut
werden. Zudem hat die heimische
Land- und Forstwirtschaft
über die Jahre hinweg unzweifelhaft
auch von den gesamtwirtschaftlichen
Vorteilen der
EU-Mitgliedschaft profitiert.
Gerade die Förderung benachteiligter
Gebiete mit den Instrumenten
der Bergbauern-Ausgleichszulage
und dem Agrarumweltprogramm
ÖPUL wäre
wohl ohne EU-Finanzierungsbeitrag
in diesem Umfang bei
weitem nicht möglich.
Darüber hinaus ist der Zugang
zum EU-Binnenmarkt
vor allem in der Milch-, Rindfleisch-
und Bioproduktion
von existenzieller Bedeutung.
Die Agrar- und Lebensmittelexporte
haben sich seit dem EUBeitritt
knapp verzehnfacht,
die Gesamtexporte Österreichs
haben sich im gleichen Zeitraum
nicht ganz verfünffacht.
Damit konnte in den letzten
Jahren eine weitgehend ausgeglichene
agrarische Handelsbilanz
erzielt werden, unter
Berücksichtigung des indirekten
Exports im Wege des Tourismus
ist diese sogar deutlich
positiv.
Mitglied der EU zu sein
macht sich für die Landwirtschaft
nicht nur am EU-Binnenmarkt,
sondern auch auf
den Märkten von Drittländern
bezahlt. Die mehr als 40
Handels abkommen der EU mit
über 70 Ländern und Regionen
sichern umfangreiche Exportmöglichkeiten.
Mit Gesamtexporten
von 228,6 Milliarden
Euro und Importen von
158,6 Milliarden Euro weist die
EU-Handelsbilanz in der Landund
Lebensmittelwirtschaft
für 2023 einen Überschuss von
70 Milliarden Euro auf. Die EU
ist damit deutlich der weltweit
führende Exporteur von Agrargütern
und Lebensmitteln.
Aufgrund der im weltweiten
Vergleich günstigen natürlichen
Produktionsvoraussetzungen
in der EU sollte diese
Position in den kommenden
Jahren weiter ausbaubar sein.
Alleine in Nordafrika und im
Nahen Osten leben 500 Millionen
Menschen praktisch vor
der Haustür der EU, die zu etwa
50 Prozent auf Lebensmittelimporte
angewiesen sind.
Was sonst liegt näher, als diese
Menschen auch mit Lebensmitteln
aus der EU zu versorgen?
Dazu sind EU-Freihandelsabkommen
aber eine zentrale
Voraussetzung.
EU-Freihandelsabkommen
sind nicht an sich schlecht
oder gut. Vielmehr erfordern
diese jeweils eine differenzierte
Bewertung. In vielen Fällen
eröffnen diese wichtige Exportkanäle
auch für Agrargüter
und Lebensmittel, wie z.B.
nach China, Japan oder Südkorea,
in anderen Fällen wie z.B.
im ausverhandelten EU-Mercosur-
Abkommen mit den südamerikanischen
Staaten Argentinien,
Brasilien, Paraguay
und Uruguay oder auch mit
der Ukraine können sie eine
erhebliche Bedrohung für die
EU-Landwirtschaft darstellen.
Sie erfordern daher eine differenzierte
Betrachtung auf
Basis von Daten und Fakten.
Das gleiche gilt übrigens auch
für die EU-Mitgliedschaft Österreichs.
Der ungehinderte
Marktzugang auf den EU-Binnenmarkt
und die EU-Exportmöglichkeiten
in Drittländer
sind für die heimische Landwirtschaft
auch heute wichtige
Erfolgsfaktoren. Der freie
Markt hat natürlich auch seine
Schattenseiten, nämlich
dort, wo Produkte zu niedrigeren
Produktionsstandards oder
Verwerfungen in der (globalen)
Produktion unsere Preise
unter Druck bringen. Kritisch
sehe ich auch, dass mittlerweile
viele überzogene EU-Regulierungen
auch die wirtschaftliche
Wettbewerbsfähigkeit der
heimischen Landwirtschaft erheblich
beeinträchtigen. Die
Ankündigung der EU-Kommissionspräsidentin
Dokumentations-
und Berichtspflichten
der Klein- und Mittelbetriebe
in den kommenden Jahren um
25 bis 35 Prozent zu reduzieren
kann als erster Schritt in die
richtige Richtung betrachtet
werden.
Dazu werden wir als Landwirtschaftskammer
Österreich
dem neuen EU-Kommissar
Christophe Hansen bei seinem
ersten Österreichbesuch
im Jänner ein konkretes Forderungspaket
übergeben
Mehr Vorteile als Nachteile
Daher mein klarer Befund nach
30 Jahren EU: Die EU-Mitgliedschaft
bringt für die heimischen
Bäuerinnen und Bauern
weiterhin mehr Vorteile
als Nachteile. Die aktuell zu
bewältigenden Herausforderungen
sprechen klar für ein
starkes Europa. Sie sind zu massiv,
als dass sie ein kleineres
Land alleine bewältigen kann.
Egal ob auf den weltweiten Agrarmärkten,
in der Weltwirtschaft,
in der Geopolitik oder
bei der Sicherheit: Nur die EU
macht uns stark und zu einem
weltweit beachteten Faktor.
Was es in der EU-(Agrar-)Politik
aber dringend braucht ist
ein deutlicher Kurswechsel
in Richtung Entbürokratisierung,
mehr wirtschaftlicher
Wettbewerbsfähigkeit, längerfristiger
Planbarkeit, mehr
Nachhaltigkeit und Krisenfestigkeit
und dass EU-Umweltund
Klima-Politik mit dem
Agrarsektor und nicht gegen
ihn gemacht wird. Das sind als
Bauernschaft und Landwirtschaftskammer
unsere klaren
Prioritäten für die EU-Politik
der kommenden Jahre.