Pflanzenschutzmittelzulassung – ein komplexes System
Zulassung allgemein
Im Grunde gibt es für die Zulassung ein zweistufiges Verfahren, die Genehmigung des Wirkstoffes erfolgt auf EU-Ebene und die Zulassung des Pflanzenschutzmittels (Wirkstoff und Beistoffe) wird in den einzelnen Mitgliedsstaaten durchgeführt. Sowohl Wirkstoff als auch das Produkt selbst durchlaufen ein umfangreiches Prüfverfahren. Das Institut für Pflanzenschutzmittelbewertung in der AGES umfasst ca. 80 Personen mit 7 Abteilungen. Unter anderem werden die Wirksamkeit, die Verträglichkeit, die Auswirkungen auf die Umwelt, der Anwenderschutz, das Rückstandsverhalten und die technischen Eigenschaften beurteilt. Geprüft wird nach Vorgaben der EU, z.B. gibt es für chemische Wirkstoffe 333 Leitliniendokumente und Prüfmethoden. Allein das Dokument zur Risikobewertung der Bienengefährlichkeit umfasst über 700 Seiten, vor 10 Jahren waren es noch knapp über 250.
Gefahr und Risiko
Die Risikobewertung wird von der AGES durchgeführt, das Risikomanagement vom BAES. Mag Sinkovits wählt ein sehr anschauliches Beispiel für die Unterscheidung von Gefahr und Risiko: Der Löwe ist in freier Natur eine Gefahr für den Menschen, in einem Zoo hinter Gitterstäben ist die Gefahr weiterhin gegeben aber das Risiko für Schäden für den Menschen ist äußerst gering. Auf Pflanzenschutzmittel umgelegt heißt das, dass die Gefahren beurteilt werden und dann in der Zulassung Auflagen erteilt werden, damit das Produkt sicher für alle Beteiligten (Anwender-Umwelt-Verbraucher) angewendet werden kann. Kann mit Auflagen das Risiko nicht minimiert werden, gibt es keine Zulassung.
Die Herausforderungen für die Bewertung sind in den letzten Jahren ständig gestiegen. Mit Inkrafttreten der Zulassungsverordnung 1107/2009 gab es deutlich strengere Auflagen für die Zulassung bzw. Erneuerung der Zulassung von Wirkstoffen und Pflanzenschutzmitteln. Seit dem Jahr 1993 ist die Anzahl der in der EU-genehmigten Wirkstoffe auf EU-Ebene von 703 auf aktuell 293 gesunken, nach Schätzungen könnte diese Zahl im Jahr 2030 auf 150 fallen.
Zulassungsverfahren
Es gibt unterschiedliche Zulassungsverfahren, bei einem regulären Verfahren nach Art. 33 reicht der Antragsteller seinen Antrag in einem Mitgliedsstaat ein oder sein Antrag wird einem Staat zugeteilt. Die AGES prüft sowohl Wirkstoffe als auch Produkte. Dann beginnt das umfangreiche und mehrjährige Verfahren zu laufen. In diesem Prozess haben andere Mitgliedsstaaten auch Einsicht und Kommentierungsmöglichkeit. Ist das Produkt regulär zugelassen, können Firmen in anderen Mitgliedsstaaten einen Antrag zur gegenseitigen Anerkennung nach Art. 40 stellen, dieser müsste nach 120 Tagen abgeschlossen sein, da die Hauptprüfung ja schon in einem anderen Mitgliedsstaat erfolgt ist. In der Praxis treten hier aber immer wieder Probleme auf, da manchmal die Mitgliedsstaaten doch noch weitere Unterlagen von den Antragstellern einfordern und es dazu zu Verzögerungen oder sogar zu Ablehnungen kommt.
Für „kleinere“ Kulturen unter 10.000 ha besteht die Möglichkeit nach Art. 51 („Lückenindikationen“) Anträge zu stellen, dies können auch Verbände, Interessensvertretungen aber auch Einzelpersonen machen. In Österreich erfolgt dies meistens in Kombination mit einem Antrag zur gegenseitigen Anerkennung
In großer Diskussion stehen in der ganzen EU sogenannte Notfallzulassungsanträge nach. Art. 53. Bei besonderen Gefahren kann die Behörde in gut begründeten Fällen Zulassungen für 120 Tage aussprechen. In manchen Mitgliedssaaten gibt es mit dieser Möglichkeit auch Zulassungen von Produkten mit nicht mehr zugelassener Wirkstoffen. Österreich wurde bisher bezüglich seiner Notfallzulassungen schon mehrfach überprüft und es gab noch nie Beanstandungen.
Die Anträge sind gebührenpflichtig und müssen für die Behörde kostendeckend sein. Für kleine Kulturen werden die Anträge oft von Anbauverbänden gestellt, bei mehrmaligen Beantragungen kann das schnell an die finanziellen Kapazitäten gehen. Neu für Österreich ist auch, dass ab 1.9.2025 alle Behördenverfahren gemäß Informationsfreiheitsgesetz allen Bürgern offen zugänglich sein müssen.
Durch das Wegfallen vieler Wirkstoffe könnte in Zukunft auch das Thema Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln wieder mehr an Bedeutung gewinnen. In Kooperation mit mehreren Mitgliedssaaten hat BM Norbert Totschnig dazu im EU-Landwirtschaftsministerrat eine Initiative gestartet. Darin wird ein europäisches Zukunftskonzept für einen effektiven Pflanzenschutz im konventionellen und biologischen Bereich gefordert.